Mythos "Tiefe Atmung"

In der westlichen Kultur werden viele fernöstliche Weisheiten verbreitet und oft aufgrund von oberflächlicher Betrachtung falsch weitergegeben und falsch verstanden. Was man bei uns unter tiefer Atmung versteht entspricht nicht dem, was man in fernöstlichen Kulturen als tiefe Atmung bezeichnet. Die Missverständnisse, die dadurch entstehen, haben katastrophale Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

 

Kindern in westlichen Kulturen wird normalerweise beigebracht, dass sie "tief" atmen müssen, damit genügend Sauerstoff in den Körper kommt. Die meisten Erwachsenen glauben daran, ebenso wie an die Nützlichkeit verschiedener Übungen, die die Atmung “vertiefen” sollen.

 

Hier wird die Atemlage mit dem Atemvolumen verwechselt und dass ist eine fatale Verwechslung. Es stimmt, dass wir mehr Sauerstoff aufnehmen, wenn wir tief (viel) einatmen, die Frage ist aber, wie viel davon dem Gewebe über die Blutbahn verfügbar gemacht werden kann. Diese Verfügbarkeit wird u.a. durch den sogenannten Verigo-Bohr Effekt bestimmt, der bewirkt, dass ein niedriger CO2-Gehalt die Verbindung zwischen Hämoglobin und Sauerstoff festigt und so die Sauerstoffversorgung des Gewebes* herabsetzt. Erklärtes Ziel der Buteyko-Methode ist es, den Verigo-Bohr Effekt umzukehren.

 

Zusammenfassend kann man sagen, Sauerstoff wird von der Lunge aufgenommen, wandert ins Blut und wird an die Hämoglobinmoleküle gebunden. Wie schnell es von dort an die Körperzellen weitergegeben wird, um diese mit Nährstoffen zu versorgen, hängt vom Kohlendioxydgehalt in der Lunge und den Kapillaren ab. Der Sauerstoff wird richtig weitergegeben, wenn der CO2-Gehalt hoch ist. Ist er niedrig (wie bei der Hyperventilation), entsteht Sauerstoffmangel im Gewebe. Sauerstoffmangel beeinträchtigt alle wichtigen Organe, und er wirkt sich besonders auf das Gehirn aus: er regt dort das Atemzentrum an, intensiver zu arbeiten. Durch diese verstärkte Tätigkeit entsteht ein Gefühl der Atemnot und Kurzatmigkeit bei der Person, die ohnehin bereits zu heftig atmet. So vertieft sich die Atmung weiter. Dadurch wiederum verstärkt sich der Kohlendioxydmangel in der Lunge.

 

Diesen Prozess kann man umkehren, indem man flacher (weniger Volumen) atmet und so den Kohlendioxydanteil in der Lunge erhöht. Wenn der CO2-Gehalt wieder normal ist, wird auch der Sauerstoff wieder leichter vom Hämoglobin abgespalten und kann das Gewebe und die Zellen versorgen.

 

Interessanterweise haben nur wenige medizinische Experten in der westlichen Welt dem Konzept der flachen Atmung Beachtung geschenkt. Östliche Kulturen hingegen verkünden seit Jahrhunderten, dass es sinnvoll ist, zu tiefes (viel Volumen) Atmen zu unterbinden und haben Atemkontrolle zu einem Bestandteil einer großen Bandbreite von Übungen für Körper und Geist gemacht, wie etwa der Meditation, Yoga (Pranayama Atmung), Tai Chi, Chi Gong und aus Tibet Judd-Shi. In all diesen Atemschulen wird tiefe Atmung als Zwerchfell- oder Bauchatmung verstanden. Diese Art der Atmung ermöglicht eine bessere Sauerstoffaufnahme in die Zellen, verringert den Energiebedarf des Körpers, entspannt und vermeidet Abwehrreaktionen. Abwehrreaktionen, die chronische Symptome hervorrufen.

 

* Zum Körpergewebe zählen auch die Muskeln, von denen es drei Typen gibt:

  1. quergestreifte Muskulatur, z.B. Bizeps oder Trizeps
  2. glatte Muskulatur, wie man sie um die Bronchien, Luftgefäße, Blutgefäße, also Arterien und Venen, und als Bestandteil der Darmwand findet.
  3. Herzmuskulatur, d.h. Muskelzellen, die darauf spezialisiert sind, sich von allein zusammenzuziehen.